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Erlebnisbericht

Ich bat eine Klientin mit Missbrauchserfahrung um eine kurze Stellungnahme, damit andere Interessierte eine Vorstellung über die Arbeit bekommen können.

Dann schreibt sie mir diesen ausführlichen und sehr persönlichen Text:

Um sie zu schützen habe ich den Namen ihres Mannes herausgenommen.

Mein Leben währt nun schon bald 60 Jahre und erst vor einem guten Jahr kamen die ersten Erinnerungen, dass es in meiner Kindheit sexuellen Missbrauch gab. Die Schutzmauer stand 50 Jahre wie eine Eins und hat jede Ahnung daran schon im Ansatz abgewehrt.

 

Dem Prozess des Mich-Erinnerns und Weiterforschens gingen sexuelle Probleme in meiner Ehe voraus, beiderseitige Frustration, Sprachlosigkeit und Verweigerung von Sex und Nähe von meiner Seite. Es folgten viele Gespräche, Therapiestunden, Aufstellungs- und Energiearbeit. Es war klar, dass der Missbrauch massiv meine Beziehungen und meinen Alltag belastete und ich nicht frei und selbstbestimmt durchs Leben ging.

 

Es wurde Zeit, dies zu ändern!

 

Ich kam zu Rita Schreiber und arbeitete eine Woche intensiv an dem Thema meines Missbrauchs. Ich war bereit, mich noch einmal in die vergangenen Situationen hinein zu begeben und war auch auf Drama, Tränen und Zähneklappern gefasst. Es wurden keine dramatischen, aber sehr intensive, sehr konkrete, heilsame, entlastende und mit Humor gewürzte Sitzungen.

 

Die Entspannungsübung, durch die Rita mich vor jeder Sitzung hindurch geführt hat, wurde für mich zum geliebten Eingangsritual.

 

Alles, was in der Sitzung an Bildern und Erinnerungen auftauchte, was in der Vergangenheit passiert war, mag man glauben oder auch nicht. Doch für mich ist es nicht entscheidend, ob sich wirklich alles und alles genau so zugetragen hat. Wichtig ist, denke ich, dass dies die Bilder und Gefühle aus meiner Vergangenheit sind, die ich in meinem Kopf oder auch meinen Zellen gespeichert hatte und nach denen ich auch bis jetzt handelte, fühlte und meine Entscheidungen traf. Und diese Denk- und Gefühlsmuster galt es zu zerstören und neue, bessere, natürlichere, selbstbestimmtere und authentischere zu erstellen und anzunehmen.

 

 

 

1. Sitzung „Missbrauch“:

 

Das erste Bemerkenswerte für mich ist, dass die heutige erwachsene Geertje sehr präsent ist und allen auftauchenden Beteiligten klar macht, dass es jetzt darum geht, die Ereignisse von damals offen auf den Tisch zu legen, die Hintergründe dafür heraus zu finden  und dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder passiert. Das war dem Verstand natürlich vorher schon klar, dafür bin ich ja zu Rita gefahren, aber für meine Gefühlswelt ist das wie ein Aufatmen „Endlich!“.

Und es geht nicht darum, noch einmal die alten Gefühle und Verletzungen zu durchleben, sondern die heutige Geertje schaut sich die Situationen von damals an als Beobachterin, benennt die Dinge ganz offen, konfrontiert alle beteiligten Personen damit. So habe ich die Möglichkeit, die Bilder, die ich von meinem Vater, meiner Mutter usw. in meinem Kopf und in meiner Gefühlswelt habe, neu zu erschaffen und sie in einer für mich unterstützenden, natürlichen Weise handeln zu lassen.

 

Ich bin es gewohnt, viel im Stillen, im Kopf zu machen. Rita fordert mich auf, alles auszusprechen, weil ich dann mit dem Unterbewusstsein arbeiten kann und nicht  ins Denken rutsche. Das ist mir neu und am Anfang auch etwas ungewohnt.

 

Bei manchen Fragen kommt (in meiner Innenwelt Anm. R. Schreiber) keine Reaktion. Ich merke, dass ich auf eine umfassende Antwort oder eine ausgefeilte Situationsbeschreibung warte. Durch Ritas Intervention: „Sie (die Person in der Innenwelt Anm. R. Schreiber) soll nicken oder den Kopf schütteln“ ist es plötzlich klar und ganz einfach.

 

Und wenn z.B. die Mutter nicht sagen kann, warum sie nichts gegen den Missbrauch unternommen und was sie dabei gefühlt hat, kann ich in die Mutter hineingehen und mit ihren Augen schauen, und plötzlich weiß ich, was sie fühlt und warum sie nichts getan hat. Das verblüfft mich auch nach Jahren der Aufstellungsarbeit immer wieder, dass das funktioniert – aber es funktioniert.

 

Es fühlt sich für mich selbstbestimmt an, dass ich die beteiligten Personen (Mutter, Vater, Opa usw.) direkt in die Situationen mit hinein nehmen und sie mit den Folgen konfrontieren kann. Es ist entlastend zu erfahren, warum sie damals so gehandelt und reagiert haben und dass ihnen nicht klar war, welche Folgen das für mich und mein Leben hat. Es erstaunt mich, dass sie dann entsetzt oder auch abweisend, aber  letztlich einsichtig reagieren und ich die Situation in meinem Kopf umschreiben kann.

 

Sehr verblüffend empfinde ich beim ersten Mal die Aufforderung, diese Ursprungssituation und die beteiligten Personen in Grund und Boden zu zerschlagen. Das heißt ganz konkret, ich nehme das Plastikrohr in die Hände und schlage damit auf den gepolsterten Fußboden, bis ich das Gefühl oder auch das innere Bild habe, alles ( die belastende Situation in der Innenwelt Anm. R. Schreiber) ist zu Staub zerbröselt. Ich habe anfangs Hemmungen, weil ich doch meinen Vater oder meine Mutter nicht zu Brei schlagen kann. Dann wird mir klar, dass ich die mich behindernde und einschränkende Energie, die ich in mir durch diese Situation gespeichert habe, auflöse.

 

Ich merke sehr genau, wann alles restlos zerschlagen ist – oder wann sich jemand dagegen sträubt: dann ist etwas noch nicht vollständig aufgedeckt und gelöst.

 

Danach folgt das Verbrennen des Staubes im prasselnden Feuer. Dann das Fortspülen der Asche durch die große Welle. Beim ersten Mal verzichte ich auf das Wasser, da der gewünschte Wind nicht als Geräusch von der CD verfügbar ist. Es ist ein schöner Gedanke für mich, dass die Asche vom Wind in der Landschaft verteilt wird und als Dünger für etwas Neues dient. Danach nehme ich die Welle und habe das Gefühl, dass die Asche aus der Feuerstelle ins Tal gespült wird. Beim zweiten Mal stellt sich ein Gefühl ein, als wenn das Wasser durch meinen Kopf durch den ganzen Körper rauscht und alle alten Strukturen und Muster mit sich reißt. Das ist sehr befreiend und ich atme tief ein und aus.

 

 

 

 

2. Sitzung „Angst“:

 

In dieser Sitzung geht es die mütterliche Ahnenreihe rauf und runter, bis zu den Ururgroßeltern. Es ist teilweise recht verwirrend für mich: bei wem bin ich gerade, wer macht was mit wem.

 

Es ist erschreckend, wie weit der Missbrauch verbreitet war und wie selbstverständlich durch Generationen hindurch die daraus entstandenen Muster gelebt und nicht hinterfragt und durchbrochen wurden. Wie gut, dass wir jetzt das Wissen von Zusammenhängen und die notwendigen Techniken haben, um diese unheilvollen Erblasten aufzudecken und zu zerstören.

 

Es fällt mir auf, dass ich all die schrecklichen Vorkommnisse sehr klar sehe und sie ohne tiefere Emotionen schildern kann. Vielleicht ist das ein notwendiger und wirksamer Schutz, um nicht von Gefühlen fortgerissen zu werden. Doch ich denke, es geht nicht darum, jemanden anzuklagen oder einen Schuldigen zu finden. Ich glaube eher, dass es jetzt darum geht, die Dinge mit großer Klarheit, Offenheit und Direktheit auf den Tisch zu legen, alle Beteiligten (also meine inneren Bilder von ihnen) damit zu konfrontieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, Stellung zu beziehen, einsichtig zu sein, anders oder überhaupt zu handeln und die Dinge in ihre natürliche und angemessene Ordnung zu rücken.

 

Ich habe das Gefühl, dass ich in dieser Sitzung weniger mit dem Schlauch zerschlagen muss als gestern. Die Situationen lassen sich schon in meinem Kopf umschreiben zu einem harmonischen, erlösten und für alle Betroffenen zufriedenstellenden Schlussbild. Am Ende applaudiert die gesamte Ahnenreihe wegen des gelungenen Ergebnisses und wir feiern gemeinsam ein Fest. Das ist sehr beglückend.

 

 

 

3. Sitzung „Ohnmacht“:

 

Ich werde in dieser Sitzung sehr viel bestimmter und fordernder. Ich sage kaum noch „bitte“, sondern verlange Antworten und Erklärungen. Ich gebe mir selbst die Erlaubnis, auf Klarheit und Lösungen zu dringen. Das gibt mir ein Gefühl der Stärke, Selbstsicherheit und Freiheit.

 

Ich benutze den Schlauch noch weniger als gestern. Es ist sogar so, dass sich manche Bilder nicht zerschlagen lassen und es stellt sich heraus, dass diese  ursprünglichen Bilder bereits während des Sprechens transformiert wurden und sich nicht zerstören lassen, da sie jetzt perfekt sind.

Das ist grandios und legt die Schlussfolgerung nahe, dass wir in unserem Kopf unser Leben inszenieren und daher auch wieder umschreiben können. Wir sind nicht Opfer der äußeren Umstände, sondern können durch Änderung unserer Gedanken unsere Gefühle, damit unsere Handlungen und damit unser Leben beeinflussen und umgestalten.

 

Wieder tauchen viele Ahnen bis zu den Ururgroßeltern auf, und es wird für mich deutlich, welch verschobenes Bild von Männlichkeit vorherrschte und die durch dieses Bild verschleierte, nicht gelebte Ohnmacht und Traurigkeit durch die Generationen bis zu mir weitergereicht wurden. Es ist herzerwärmend und beglückend zu sehen, wie diese „harten Männer“ aufweichen und gefühlvolle, zärtliche und liebevolle Ehemänner und Väter werden und gerade auch in ihren Schwächen sehr stark und liebenswert sind. Und zum ersten Mal traut sich eine Frau (meine Mutter), ihrem Mann, der die Kinder missbraucht, mit Körpergewalt klar zu machen, dass er auf dem völlig falschen Weg ist und dies inakzeptabel ist.

 

In der Schlusssequenz zerbröckelt die Höhle, in die ich am Anfang gegangen bin, und ich stehe in luftiger Höhe auf einem Berggipfel, umgeben von großer Weite, Freiheit und Weitsicht. Alles ist möglich. Ich bin so frei und ungebunden, dass ich sogar schweben kann. Ein herrliches Gefühl!

 

 

 

4. Sitzung „Mein Mann“:

 

An diesem Tag geht es um die Frage, inwiefern der Missbrauch die Beziehung zu meinem Mann beeinflusst und belastet.

 

Am Anfang habe ich ein Gefühl von Weite, Freiheit und Freude, im weiteren Verlauf  wird es eine verwirrende Sitzung und ich verliere leicht den Überblick.

 

Ich habe ein ungutes Gefühl, so offen über meinen Mann zu reden, es kommt mir fast wie Verrat vor. Aber ich mache mir klar, dass ich über mein inneres Bild von ihm spreche und dass ich es tue, weil ich Themen und Belastungen aufdecken und auflösen möchte, die ein entspanntes und liebevolles Verhältnis verhindern. Es ist nicht ganz einfach für mich, auch unangenehme Dinge zur Sprache zu bringen, aber es dient ja einem guten Zweck. Außerdem ist es mein Blickwinkel. Mein Mann sieht es sicher nicht genauso wie ich, und das ist ja auch in Ordnung.

 

Es wird offensichtlich, dass ich noch keine klare Entscheidung für diese Beziehung treffen kann, ich finde kein eindeutiges „Ja“, meinem Mann zu begegnen – mit allem, was dazu gehört. Das ist mir unangenehm, aber im Moment ist es eben so.

Auf die Frage, ob ich – unabhängig von meinem Mann – als Erwachsene dastehen will, ohne dass die kleine Geertje mir in die Suppe spuckt, habe ich dagegen ein klares „Ja“.

 

Es zeigt sich, dass mein Mann und ich beide in die Muster der bedürftigen Kinder rutschen, die im anderen die Mutter bzw. den Vater suchen und dass mein Mann zusätzlich durch ein Muster mit meiner Mutter verstrickt ist. Das ist alles sehr verwirrend.

 

Mit Ritas Hilfe schaffe ich es, Stück für Stück zu zerschlagen und für klare Verhältnisse zu sorgen. Die Anziehungskraft zwischen der erwachsenen Geertje und meinem erwachsenen Mann ist noch etwas wackelig und ungewohnt. Das wird sich erst im Alltag festigen und einspielen und vermutlich werden sich die Kleinen auch noch manchmal melden.

 

 

 

5. Sitzung „W. und M.“:

 

Wie schön ist es zu sehen, wenn Menschen, die aus eigenen Verstrickungen heraus andere brutal und ungerecht behandeln, zu Einsicht und Umdenken gelangen und dass durch Liebe und Verständnis Freiheit und ein echtes Miteinander entstehen.

 

Die beteiligten Personen werden immer stärker und klarer in ihrem Handeln. Sie lassen sich nichts mehr gefallen und beenden eine Situation, die nicht richtig ist. Das macht mir Mut, auch so entschlossen zu handeln.

 

Mein Mann und ich stehen heute Seite an Seite und zerschlagen die alten Bilder. Es ist ein beglückendes Gefühl von Gemeinsamkeit und Vertrauen. In der ersten Sitzung stand ich allein beim Feuer und habe dem Verbrennen zugeschaut. Dann hatte ich die kleine Geertje auf dem Arm. Später kam mein Mann dazu, und nun stehen mein Mann und ich Hand in Hand mit der kleinen Geertje und ihm als kleinem  Kind auf dem Arm und freuen uns über das prasselnde Feuer und das reinigende Wasser.

 

 

 

6. Sitzung „Innere Frau - innerer Mann“:

 

Es fällt mir heute noch schwerer, über mich und meinen Mann zu sprechen. Das Thema kommt mir sehr nahe und spiegelt die Gegenwart. Die Schutzmechanismen, die bei den Themen der ersten 3 Tage wirkten („Das ist ja alles schon so lange her“), ziehen nicht mehr.

 

Es erstaunt mich etwas, was alles in meiner inneren Welt auftaucht und wie bunt und lebendig es dort ist. Überraschende Dinge passieren. Ich verstehe zwar nicht alles,  aber ich lasse den Film einfach weiter laufen. Ich will nicht analysieren, sondern fühlen und neue Bilder entstehen lassen.

 

Es erleichtert mich, noch einmal bestätigt zu bekommen, dass der Missbrauch mich daran gehindert hat, in meine Sexualität zu gehen. Es ist nichts falsch an mir, ich bin normal, allerdings ist meine Seele beschädigt durch das, was mir als Kind angetan wurde.

 

Auf der Reise mit meiner inneren Frau durch ihre Welt ist verblüffend, dass mir dort die Menschen fehlen. Bisher war ich eher die Einzelgängerin, die lieber allein als mit anderen Menschen ist. Jetzt fühlt es sich lebendig an, natürlich und aufgehoben in dieser Gemeinschaft. Alles in mir wird weit und schwerelos und bunt.

 

Es fällt mir auf, dass ich fast nichts mehr zu zerschlagen habe. Die Situationen lassen sich direkt in meinem Kopf umschreiben in kraftvolle, interessante und stimmige Bilder. (Zur Verdeutlichung: die Bilder transformieren sich von selbst in einem freilaufenden, unbeeinflussten Prozess der Wandlung - insofern werden sie nicht umgeschrieben, was eine willentliche Beeinflussung wäre. Anm. R. Schreiber)

 

Mich auf meinen Mann und meine Sexualität einlassen zu können, braucht den Mut und meine Entscheidung, ganz in meinen Körper zu gehen und alle Gefühle, die auftauchen, da sein zu lassen. Mit dieser Entscheidung spüre ich die innere Frau in meinem Körper in ihrer Stärke und Sicherheit und Lebendigkeit. Um dieses Gefühl auch im Alltag wieder herstellen zu können, brauche ich einen Anker. Es ist ein zäher Prozess, bis ich diesen Anker in dem Haus meiner inneren Frau finde, und es fühlt sich noch ungewohnt an, dass ich und nur ich an diesem Ort das Sagen habe.

 

Ich bin gespannt, was sich in unserer Beziehung ändert und wie ich mit „alten“ Situationen vielleicht anders umgehen kann. Die neuen Bilder fühlen sich noch nicht so stabil an und ich werde vermutlich manchmal meinen Anker zu Hilfe nehmen, um die innere Frau wieder auf ihren Platz zu stellen.

 

 

Vielen Dank Geertje - für deine offenen Worte

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